29.04.2025

Taiwan Today

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"Wir sind die Schüler im Birnengarten"- Einführung in die Peking-Oper -

01.11.1990
Die Darstellungsmittel in der Peking-Oper sind strikt symbolisch: eine Peitsche in der Hand verweist auf ein Pferd.

Fotos mit freundlicher Genehmigung der Fu-Hsing-Theaterakademie

Die Peking-Oper vereinigt in sich die wichtigsten Errungenschaften im Bereich von Literatur, Musik, Tanz und Drama Chinas. Da von den über 1000 verschiedenen chinesischen Opernformen die Peking-Oper die repräsentativste ist, trägt sie in Taiwan den Namen "Nationaltheater"(國劇).


Die Peking-Oper kann auf eine Geschichte von mehr als tausend Jahren zurückblicken. Kaiser Hsüan-tsung (713-756) der Tang-Dynastie gründete im "Birnengarten"(梨園)seines Palastes eine Schule für Instrumental- und Gesangsmusik sowie für Volkslied und Volkstanz. Zum ersten Mal erhielt die dramatische Kunst staatliche Anerkennung und erlebte eine Glanzzeit. Der "Birnengarten" wurde dadurch zum Synonym für die chinesische Theaterkunst, besonders für die Peking-Oper. Damals entwickelten sich Musik und Tanz selbständig, ohne daß eine Handlung mit einbezogen war. Das geschah erst, als im 12. Jahrhundert der Sung-Kaiser Chen-tsung ein historisches Drama verfaßte und durch seine Tanz- und Gesangsgruppen am Hofe aufführen ließ: die Geburtsstunde des chinesischen Theaters. Rasch breitete sich diese Form auch unter dem Volke aus und wurde so weiter überliefert.

Ursprünglich wurde die Handlung eines Opernstücks stets der Mythologie entnommen, da die Aufführung zumeist an Festen oder anläßlich von Gedenkfeiern für die Vorfahren eines Clans stattfanden. Später führten die Theater einen permanenten Bühnenbetrieb, und auch in den Teehäusern konnte man sich an Aufführungen erfreuen. Dort traten außer Operngruppen auch Romanzensänger und Geschichtenerzähler auf. In jedem Gebiet des Landes entfaltete sich eine eigene Art der Oper. Durch solche regionalen Unterschiede hat die traditionelle chinesische Theaterkunst ihre große Vielfalt erlangt.

In der Zeit vor der Yüan-Dynastie (1280-1368) wurde der wahre Wert der chinesischen Oper von den Gebildeten nicht erkannt, da sie sie nur für ein Mittel zur Belustigung der einfachen Bevölkerung hielten und es nicht als vornehm erachteten, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen. Erst im 14. Jahrhundert haben sie sich der Oper zugewandt, als Gebildete unter der mongolischen Herrschaft wenig Gelegenheit besaßen, Staatsämter zu bekleiden, und sie deshalb ihr Interesse und ihren Eifer der Oper widmeten. Die Gebildeten der Yüan-Zeit haben viele literarisch anspruchsvolle Theaterstücke geschrieben und damit die Grundlage für die Peking-Oper geschaffen.

Die Regierungszeit des Mandschu-Kaisers Ch'ien-lung (1736- 1796) war die große Blütezeit der chinesischen Bühnenkunst. Der Kaiser war ein großer Theaterliebhaber und lud anläßlich seines 50. Geburtstages die berühmtesten Operntruppen aus dem Lande nach Peking ein, wo sie monatelang gastierten. Nach dem Ende der Feierlichkeiten blieben die Ensembles in der Hauptstadt und schufen so die Peking-Oper. Unter diesen Operntruppen existierten hauptsächlich zwei verschiedene Typen von Gesangs- und Schauspiel stilen. Der Gesangsstil Südchinas, "Erh-huang"(二黃), ist in gemessenem, ernstem Takt gehalten; er wird verwendet, um Trauer und Tragik zum Ausdruck zu bringen. Der nordchinesische Singstil, "Hsi-pt"(西皮), folgt einer leichten, verspielten und lebhaften Taktierung und eignet sich besonders, um Freude und jede Art von positiven Gefühlen zum Ausdruck zu bringen. Im Lauf der Zeit vermischten sich diese beiden Stile, und sie werden in der eigentlichen Peking-Oper kontrastierend nebeneinander eingesetzt.

Die Themen der Peking-Oper haben einen hohen moralisch-erzieherischen Wert. Sie sind der Geschichte des Landes, den lokalen Legenden wie auch Ereignissen aus dem Alltag der einfachen Leute entnommen. Viele Stücke der Peking-Oper verdanken ihren Stoff den bekannten klassischen Romanen "Die Reise nach dem Westen"(西遊記), "Die Räuber vom Liang-shan-Moor"(水滸傳)und "Die drei Reiche"(三國演義). In der Regel beschreibt die Peking-Oper den Gegensatz zwischen Gut und Böse und läßt am Ende das Gute über das Böse, das Weiche über das Harte siegen. Damit vermittelt die Peking-Oper dem Zuschauer Werte wie Loyalität, Pietät, Rechtschaffenheit und Sittlichkeit.

Im Unterschied zum Westen wendet die Peking-Oper nicht-realistische oder impressionistisch-skizzenhafte Darstellungsmethoden an. Jegliche Handlung auf der Bühne ist auf symbolische Darbietung beschränkt. Auf der Bühne gibt es nur einen Stuhl und einen Tisch, mit denen ein Kaiserthron, eine Mauer oder ein Berg dargestellt werden können. Auch andere Handlungsgegenstände werden symbolisch wiedergegeben: eine Peitsche in der Hand bedeutet ein Pferd, ein Ruder ein Boot, und eine mit einem Rad bemalte Fahne soll einen Wagen andeuten.

Die Sprech- und Gesangstexte der Peking-Oper sind in Versformen von hohem literarischem Wert gehalten. Sie werden unter Musikbegleitung entweder mit Brust-, Fistel-, oder Koloraturstimme vorgetragen und gesungen. Die Musik der Peking-Oper basiert auf dem alten chinesischen Notensystem und auf althergebrachten Melodien; der Gesang ist abwechslungsreich im Rhythmus und drückt dadurch die Gefühle und die seelische Verfassung der Figuren aus. Die gesprochene Sprache umfaßt Dialog und Monolog und ist manchmal musikalisch unterlegt.

Blick auf den "zivilen Teil" des Orchesters, das sich stets gut sichtbar am rechten Bühnenrand befindet.

Das Orchester, das auf der rechten Seite der Bühne spielt, gliedert sich in zwei Teile. Im "zivilen Teil"(文場)befinden sich die Streicher (wie Kniegeige, Fiedel und dreiseitige Geige) und die Bläser (wie Klarinette und Bambusquerflöte). Von diesem Teil werden die gesungenen Lieder und die gesprochenen Gedichte begleitet. Der "militärische Teil"(武場)setzt sich aus Schlaginstrumenten zusammen, d. h. Trommel und Becken, Gong und Takt- oder Schlagholz, die bei Kampfszenen oder anderen Situationen benutzt werden, um Spannung im Publikum zu erzeugen. Der Spieler der "P'i-lo" (皮鑼, eine kleine Trommel) gibt das Tempo an und ist gleichzeitig der Dirigent des Orchesters.

In der Peking-Oper werden bestimmte sparsame Gesten eingesetzt, um Lachen, Weinen, Freude und Empörung mitzuteilen. Alle Bewegungen, wie das Schütteln der Armel und das Heben und Setzen der Füße, sind in ihrem symbolischen Gehalt genau festgelegt. Die Aufführungstechniken erfordern ein langes und rigoroses Training. Ausgezeichnetes Rezitieren löst immer großen Beifall aus. Im Unterschied zu westlichen Darstellungsformen sind hier verschiedene Gattungen, wie Gesang mit Musikbegleitung, das gesprochene Wort, Pantomime und Akrobatik, miteinander verbunden. Der große Kenner und Theoretiker des chinesischen Theaters, Chi Yu-shan, sagte: "Auf der Bühne wird jede Stimme in Form von Gesang dargestellt; jede Bewegung in Form von Tanz"(無聲不歌,無動不舞)- das ist die beste Beschreibung der einzigartigen Gesangs- und Tanzkunst der Peking-Oper.

Im allgemeinen gibt es in der Peking-Oper vier Hauptrollen: "Sheng"(生), die führende männliche Partie, "Tan"(旦), die weibliche Partie, "Ching"(淨), die maskierte Figur, und "Ch'ou"(丑), den Komiker. Diese Rollen werden nach Alter, Geschlecht, Charakter und sozialer Stellung der dargestellten Figur unterschieden. Der Schnitt der Kostüme basiert auf dem Stil der Kleidung der Ming-Dynastie (1368-1644). Alle Kostüme entsprechen auch der Stellung und der beruflichen Tätigkeit der Rollen. Der Zuschauer kann dann am Kostüm erkennen, ob der Darsteller ein Zivilist oder ein Militär ist, ein Chinese oder ein Ausländer, ein Adliger oder ein gemeiner Mann, ein Armer oder ein Reicher.

Der "Ching" ist eine Rolle mit ausgeprägtem Charakter oder besonderem Schicksal und erfordert eine Gesichtsmaske. Im ganzen gibt es in der Peking-Oper fünfzig sowohl in der Farbe als auch in der Zeichnung verschiedene Masken. Jede Schminkmaske hat ihren Symbolgehalt und informiert die Zuschauer über Charakter, Vorgeschichte und Schicksal des Darstellers: Rot bedeutet Treue und Loyalität, Schwarz steht für einen geraden, unkomplizierten Charakter, Weiß signalisiert Hinterlist und Gerissenheit, Blau und Grün drücken Tapferkeit aus, Gold und Silber werden für mythische und göttliche Figuren verwendet. Die Rolle mit einem "kleinen bemalten Gesicht", d. h. nur die obere Hälfte des Gesichts ist weiß geschminkt, ist der "Ch'ou". Als Spaßmacher stellt der "Ch'ou" entweder gute Charaktere mit viel Humor und Komik oder aber kleine Schurken, listige Menschen oder dumme Tölpel dar. Im allgemeinen wird die Gesichtsmaske eines guten Charakters mit klaren, ausgeglichenen Linien ausgeführt, die von verräterischen Charakteren ist unsymmetrisch und wirkt zerrissen.

Die Regierung der Republik China auf Taiwan hat seit 1949 große Sorgfalt auf die Pflege der Peking-Oper verwendet und bei den Streitkräften Operntruppen als Unterhaltungsensembles eingerichtet. Heute haben die Luftwaffe, die Marine und die Landstreitkräfte ihre eigenen Amateurtruppen. Die staatliche Fu Hsing-Theaterakademie, 1957 in Taipei gegründet, bildet Jugendliche in der traditionellen chinesischen Theaterkunst aus. Diese Akademie kann man jeden Dienstag und Donnerstag nach vorheriger Anmeldung besuchen. Heute gibt es wenigstens drei Opernhäuser in Taipei, in denen abends in regelmäßigen Abständen Peking-Opern aufgeführt werden: das Nationaltheater(國家劇院), das Kulturzentrum der Streitkräfte(國軍文藝中心)und das Studentenzentrum Taipei(台北學苑).

Um dem Leser einen Überblick über die Peking-Oper zu geben, seien hier vier der berühmtesten Stücke in Inhaltsangaben vorgestellt.

Der Affenkönig Sun (im gelben Kostüm) wirbelt über die Bühne und besteht einen seiner vielen Kämpfe.

1. "Aufruhr im Himmel"(鬧天宮); der Stoff ist dem Roman "Die Reise nach dem Westen" entnommen. Der Affenkönig Sun Wu-k'ung(孫悟空)wird vom Himmelskaiser Yü-ti beauftragt, den himmlischen Garten, in dem die Pfirsiche der Unsterblichkeit wachsen, zu hüten. Als Sun erfährt, daß er nicht zu einem Bankett im Himmelspalast zu Ehren des Geburtstages von Yü-ti's Mutter eingeladen wird, verzehrt er empört die Pfirsiche im Garten und trinkt den Wein der Unsterblichkeit im Himmelspalast. Yü-ti schickt seine Truppen aus, um Sun zu bestrafen, aber dieser behält zuletzt die Oberhand. Yü-ti kann nicht umhin, Sun den Titel "Großer Heiliger - Ebenbürtiger des Himmels"(齊天大聖)zu verleihen.

2. "Die leere Stadt"(空城計)nach einer Episode aus dem Roman "Die Drei Reiche". Ssu-ma I, Marschall des Staates Wei, führt seine Armee zum Angriff gegen den schwachen Staat Shu. Chu-ko Liang(諸葛亮), der Kanzler von Shu, befindet sich in einer kleinen Stadt und hat ein so rasches Manöver des Feindes nicht erwartet. Es bleibt keine Zeit mehr, Verstärkung zum Schutz der Stadt anzufordern. In dieser sehr gefährlichen Lage ordnet Chu-ko an, daß alle Stadttore geöffnet werden und unbewacht bleiben, während er selbst auf der Stadtmauer Wein trinkt und Laute spielt. Ssu-ma stutzt, als er dieses friedliche Bild sieht, und vermutet einen Hinterhalt. Er zieht sich hastig zurück.

Die Weiße und die Blaue Schlange treffen Hsü Hsien am See: der junge Mann freut sich. den schönen Damen im Regen seinen Schirm leihen zu dürfen.

3. "Die Weiße Schlange"(白蛇傳), eine alte chinesische Volkslegende. Die Weiße Schlange und die Blaue Schlange haben durch 1000jährige religiöse Übung Unsterblichkeit und Menschengestalt erlangt. An einem Regentag besuchen sie den schönen Westsee in Hangchou, und ein junger Mann namens Hsü Hsien leiht ihnen seinen Schirm. Die Weiße Schlange verliebt sich in Hsü und heiratet ihn bald. Doch der Mönch Fa-hai ist mit dieser Verbindung nicht einverstanden und entführt Hsü in sein Kloster. Die Weiße Schlange ist schwanger und kämpft um ihren Geliebten, wird aber bald besiegt. In diesem Moment merkt Hsü, daß Fa-hai ihn getäuscht hat, und entflieht. Verärgert über seine vermeintliche Untreue möchte die Blaue Schlange Hsü töten, wird aber von der Weißen Schlange zurückgehalten. Hsü kniet vor ihr nieder und bittet um Vergebung. Zum Schluß versöhnen sich alle drei.

4. "Die Rache des Fischers"(打漁殺家)entnimmt ihren Stoff dem Roman "Die Räuber vom Liang-shan-Moor". Hsiao En verdient sich zusammen mit seiner Tochter seinen Lebensunterhalt mit Fischen. Als ein böser Grundbesitzer den Fischern eine illegale Steuer auferlegt, beschwert sich Hsiao bei den örtlichen Behörden. Aber anstatt Gerechtigkeit bekommt er Peitschenhiebe. In der Nacht geht Hsiao mit seiner Tochter zum Haus des Grundbesitzers. Sie töten den Grundbesitzer und ziehen in das Liang-shan-Moor.

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